Insbesondere Frauen könnten von Digitalisierung und Homeoffice profitieren. Doch „kulturelle Barrieren“ stehen dem in vielen Betrieben noch entgegen.
Wer seine Arbeit flexibel einteilen und dabei auch von zu Hause arbeiten kann, hat es leichter, Beruf und Familie zu vereinbaren. Frauen in Teilzeit nutzen die höhere Flexibilität teilweise dazu, in ihrem Job mehr Wochenstunden zu arbeiten – und damit mehr zu verdienen. Allerdings: Nicht alle haben gleichermaßen Zugang zum Homeoffice. Und für die berufliche Karriere ist nach wie vor Anwesenheit entscheidend. Zu diesen Ergebnissen kommen Tanja Carstensen von der Universität Hamburg und Ute Demuth. Die Forscherinnen haben untersucht, wie sich die Digitalisierung der Arbeitswelt auf die Geschlechtergerechtigkeit auswirkt.
Ihre von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie basiert auf Interviews mit 50 Beschäftigten im Alter zwischen 25 und 61 Jahren, darunter 31 Frauen und 19 Männer mit unterschiedlicher Qualifikation und beruflichem Status. Mehr als die Hälfte der Befragten lebt mit Kindern im Haushalt. Die Befragung wurde Ende 2019 abgeschlossen, also noch bevor das Arbeiten im Homeoffice durch die Coronakrise stark zugenommen hat.
Bessere Vereinbarkeit und mehr bezahlte Arbeit
Die Arbeit im Homeoffice erleichtere nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, in einigen Fällen ermögliche sie Frauen, ihre Erwerbsarbeit auszudehnen, stellen die Forscherinnen fest. Dadurch könnte sich langfristig die nach wie vor bestehende Lohnlücke zwischen Männern und Frauen verkleinern. Die deutlichsten Veränderungen zeigen sich bei denjenigen, die als „Zuverdienerin“ arbeiten, die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung tragen und dabei gleichzeitig in einem Job tätig sind, in dem sie gewisse Spielräume haben. Diese meist in Teilzeit Beschäftigten beschreiben, dass sie dank mobiler Arbeit ihre vertraglich vereinbarte Stundenzahl erhöhen und damit nicht nur mehr für den Job tun, sondern auch eine interessantere Tätigkeit ausüben können, ohne sich „völlig zerreißen“ zu müssen. Vor allem bei den befragten Frauen zeigt sich zudem, dass allein das Wissen, im Notfall zu Hause bleiben zu können, den Alltag deutlich entspannt, sowohl zeitlich als auch emotional. Allerdings gilt das nur, wenn die Arbeit im Homeoffice frei gewählt ist. Und natürlich kann Homeoffice weder Schule noch Kita ersetzen, wie sich in der aktuellen Situation zeigt. Aufgrund der Coronakrise gilt zurzeit eine befristete Verordnung der Bundesregierung, wonach Arbeitgeber überall dort Homeoffice anbieten müssen, wo es möglich ist.
Gefahr der Entgrenzung
Dass die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben im Homeoffice verwischen, war schon vor Corona eine Gefahr, unterstreicht die Studie von Carstensen und Demuth. Viele Beschäftigte berichten, dass sie zu Hause und an anderen Orten vorarbeiten, nacharbeiten, sich „abends nochmal ransetzen“, dass sie aus Dankbarkeit für das „Entgegenkommen“ des Arbeitgebers beim Thema Homeoffice nicht genau auf ihre Arbeitszeit achten. Manche erklären sogar, es sei üblich, auf dem Spielplatz, im Café oder im Auto zu arbeiten, während die Kinder beim Sport sind oder anderweitig Zeit überbrückt werden muss.
Ein weiteres Problem: Nicht alle Beschäftigten haben gleichermaßen Zugang zum Homeoffice. Während Höherqualifizierte, erst recht wenn sie relativ selbstbestimmt arbeiten können, häufiger die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten haben, bleiben Beschäftigte in Bereichen wie Sachbearbeitung und Sekretariat oftmals außen vor, obwohl die Tätigkeiten eine papierlose Arbeitsweise zulassen würden. Oft seien es die Vorgesetzten, die die Anwesenheit der Beschäftigten wünschen, schreiben die Forscherinnen. Grund dafür seien „vor allem kulturelle Barrieren“. Insgesamt seien Frauen davon stärker betroffen als Männer.
Nachteilig für die Karriere
Auch wer Karriere machen will, muss nach wie vor Präsenz zeigen, stellen die Wissenschaftlerinnen fest. Vieles deute darauf hin, dass Anwesenheit vor Ort umso wichtiger wird, je mehr Beschäftigte räumlich verteilt und virtuell arbeiten. Während jemand, der im Betrieb präsent ist, als besonders engagiert gilt, wird das Arbeiten im Homeoffice zum Teil als „mangelndes Commitment“ ausgelegt. Beschäftigte im Homeoffice stehen zudem häufiger unter Druck, beweisen zu müssen, dass sie die erwartete Leistung erbringen und verfügbar sind. „Trotz guter Erfahrungen mit digitaler Zusammenarbeit lässt sich das Informelle nicht vollständig in digitale Kommunikation übersetzen“, schreiben Carstensen und Demuth.
„Die Potenziale der digitalen Technik in der Arbeitswelt werden nur dann ausgeschöpft, wenn die Kultur stimmt und die Machtverhältnisse neu verhandelt werden“, lautet eine Schlussfolgerung der Forscherinnen. Mitbestimmung sei dabei ein wichtiger Faktor. Wenn der Betriebsrat die Diskussion um Digitalisierung und flexibles Arbeiten mitsteuere, dann könne er einiges dazu beitragen, nicht nur die Präsenzkultur, sondern auch traditionelle Geschlechterrollen in der Arbeitswelt aufzubrechen. Die Arbeitnehmervertreter dürften dabei keine inoffizielle Praxis dulden, sondern sollten auf transparente Regelungen bestehen. Alle Beschäftigten, deren Tätigkeiten es erlauben, müssten mobil arbeiten dürfen. Zugleich sollten gezielt auch Männer mit Angeboten angesprochen werden, die es ihnen ermöglichen, Sorgearbeit zu übernehmen, ohne dass Ansprüche an die eigene Erwerbsarbeit leiden.
Quelle: Hans Böckler Stiftung, BÖCKLER IMPULS, 3/21