Interview: „Jeder findet im Büro der Zukunft seinen idealen Platz“

Interview mit Guido Rottkämper, Leipziger Architekt und „Arbeitsweltverbesserer“, über das Büro der Zukunft

von Wolfgang Brinkschulte

Guido Rottkämper gehört zu den profilierten Architekten für die Gestaltung von modernen Arbeitsumgebungen. Dabei befasst er sich seit vielen Jahren mit seiner Firma design2sense auch mit Partizipations- und Kommunikationsaspekten. Im Interview beschreibt er ausführlich seine Sicht auf die Entwicklung und Rolle von Büros nach der Pandemie.

WBR: Herr Rottkämper, Deutschland ist ja eine Büronation. Nach einer kürzlich verfassten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln arbeiten bundesweit rund 15 Millionen Menschen in Büros. Es werden immer mehr. Bürohauptstadt ist Frankfurt am Main. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten, die aktuell im Homeoffice arbeiten, verbringen 20 Stunden oder mehr am heimischen Schreibtisch statt im Büro. Es gibt den Wunsch, auch nach der Pandemie  verstärkt im Homeoffice zu arbeiten. Brauchen wir eigentlich noch Büros und wenn ja, müssen wir Büro neu denken?

Guido Rottkämper: Ich bin fest der Überzeugung, dass wir in Zukunft Büros brauchen. Gleichzeitig bin ich ziemlich sicher, dass das Büro seine Funktion verändern wird. Vom Arbeitsort zum Treffpunkt. Unabhängig davon, wie hoch die Homeoffice-Raten sind, allen Firmen ist gemeinsam, die in irgendeiner Weise Homeoffice zulassen, dass man zuhause sehr gut konzentriert arbeiten kann. Aber das Zusammensitzen, das Kollaborieren, das miteinander Diskutieren, das ist live viel besser. Ideen haben, funktioniert live. Wir sind fest der Überzeugung, dass das Büro mehr zum Treffpunkt wird und auch zum Lockmittel, um die Leute, die eigentlich jetzt sich zuhause eingerichtet haben, wieder ins Büro zu locken. 

WBR: Die Arbeitswelt Büro hat ja verschiedene Perspektiven. Räumlich, strukturell, kommunikativ. Wie soll sich Büro denn in Zukunft entwickeln?

Guido Rottkämper: Wir merken, dass viele Firmen, die wir betreuen, die große Sorge haben, dass sich Mitarbeiter zuhause einrichten und nicht mehr ins Büro kommen. Und die Sorge ist ja nicht so sehr der Verlust an Effektivität, sondern der Verlust an kultureller Identität. Also es scheint nach wie vor so zu sein, dass Firmen sagen: Sachen abarbeiten virtuell geht, aber Kultur ist immer noch etwas, was zwischen Menschen stattfindet. Firmen sagen, wir müssen uns zeigen, wir haben einen War of Talent, also der Kampf um die besten Köpfe. Wir müssen kreativer und schneller werden. Und dazu müssen wir zeigen, wie cool wir sind. Auch über unsere Räume, und was wir draufhaben.

Wir merken, dass Firmen sich dessen bewusst sind, dass auch die Anforderungen der Mitarbeiter nichts Statisches sind. Junge Mitarbeiter, neue Talente, die einfach auch nicht acht Stunden im Büro arbeiten wollen, sondern die Work-Life-Integration. Kinder früher von der Schule holen, mit ihnen Zeit verbringen, und abends dann noch mal an den Rechner gehen. Das sind Themen, die lassen sich eben mit einer höheren Flexibilität, was das Homeoffice angeht, wirklich besser bewerkstelligen, als wenn man jeden Tag von Nine-to-Five ins Büro kommt.

WBR: Arbeitsräume als attraktive Orte, wo man gerne hingeht. Wie verändern sich Räume nach der Pandemie?

Guido Rottkämper: Ganz konkret: Wir haben ein großes Unternehmen in Leipzig, da haben wir Anfang 2020 bei einem anstehenden Neubau diskutiert, ob noch jeder seinen eigenen Arbeitsplatz braucht, oder gehen wir in ein Wechselmodell? Die Firma hat ganz klar gesagt: nein, wir bleiben dabei. Wir können unseren Mitarbeitern nicht mehr zumuten. Also, des deutschen Mitarbeiters liebstes Kind ist der eigene Arbeitsplatz. Vier Monate später sagte plötzlich der Betriebsrat, die Mitarbeiter wünschen sich mehr Flexibilität beim Thema Homeoffice. Sie sind dazu bereit, auf ihren persönlichen, eigenen Arbeitsplatz zu verzichten. Da hat sich die Sichtweise wirklich umgekehrt. Die Mitarbeiter haben mitgekriegt, dass an einem Wechselmodell auch eine höhere Flexibilität hängt. Man muss ja immer überlegen, wie viel Homeoffice ist gut für ein Unternehmen, ohne dass der Kultur- oder Identitätsverlust droht.

Wir glauben, dass mehr als ein oder eineinhalb Tage pro Woche die Mitarbeiter sich gar nicht wünschen. Aber selbst diese eineinhalb Tage führen zu der Frage, wie kriegen wir diesen Wechsel überhaupt hin? Sucht sich jeder dann morgens seinen Arbeitsplatz selbst, oder muss man seine Tastatur und seinen Rechner mit nach Hause schleppen? Da gibt es ganz klar Dinge, die sich entwickeln werden. Der persönliche Rollcontainer wird verschwinden. Dafür wird es Fächer geben, wo man seinen Tee, die Gummibärchen und seine Tastatur einschließen kann, bis man dann wieder ins Büro kommt.

Wir haben auch viel mit Ängsten von Mitarbeitern zu tun. Die sagen, ich kann gar nicht zuhause arbeiten. Die Sensibilität zu sagen, für wen ist denn was wann richtig. Da gibt es natürlich Leute, die gar nicht zuhause arbeiten wollen. Dieses genaue Hingucken, was bedarf es für den Einzelnen, und geht das noch mit Regeln. Soll jeder flexibler arbeiten, wie er will? Kulturell wird es komplexer, auch Wechselmodell muss gelernt werden. Und auch im Büro konsequent anders umgesetzt werden, als das, was wir kennen.

WBR: Das flexible Büro kennen wir ja schon seit vielen Jahren. Die großen Tech-Unternehmen sind die Frontrunner gewesen. Ist das eine Entwicklung, die viele Unternehmen, auch klassische Unternehmen, jetzt nachholen, also ist das nichts Besonderes mehr?

Guido Rottkämper: So einfach ist das nicht. Selbst wenn man sich bei den Tech-Unternehmen mal die Diskussionen anschaut. Microsoft zum Beispiel hat immer propagiert, „Work is not a place anymore“, also ich brauche keinen Schreibtisch im Büro, um da zu arbeiten. Die entwickeln natürlich auch Produkte, die Homeoffice fördern, weil man von überall arbeiten kann. Das ist auch ein Stück weit Marketing. Marissa Mayer von Yahoo hat damals komplett dagegen gehalten und gesagt, wenn niemand mehr im Büro ist, dann ist eben auch im Büro kein Leben mehr, und dann verlieren wir unsere Identität.

Zwischen zwei Tech-Riesen ist vor rund zehn Jahren diese Diskussion entbrannt, wie viel Büro braucht es, ohne dass es zum Identitätsverlust führt. Eine Firma ist eben mehr als nur arbeiten, sondern das ist Kommunikation, das ist sich gut verstehen, aufeinander aufbauen, diskutieren. Das sind alles Sachen, die sich nicht so einfach virtualisieren lassen. Das Gesamtgefüge sich anzugucken, ist etwas, das wir berücksichtigen müssen.

Und auf der anderen Seite stellen selbst große konservative Unternehmen fest, die am Anfang der Pandemie große Befürchtungen hatten, dass deren Umsätze wegbrechen, weil die Leute zuhause nicht mehr gut arbeiten, die mussten sich eines Besseren belehren lassen. Die Arbeitsleistung der Mitarbeiter ist im letzten Jahr deutlich nach oben gegangen, viel geringere Krankheitsraten. Die Mitarbeiter arbeiten auch entgegen aller Befürchtung der Chefs zuhause deutlich länger. Die Selbstausbeutungstendenz der Mitarbeiter ist eher so, dass sie zu viel als zu wenig arbeiten. Das hat super funktioniert. Aber das ist nicht durchgängig so.

Wir haben in den Unternehmen selbst große Unterschiede zwischen einzelnen Abteilungen. In puncto Vertrauen der Chefs zu ihren Mitarbeitern, ob die zuhause gut arbeiten oder nicht. Und da habe ich dieses Wort Vertrauen jetzt in den Mund genommen. Wir merken, dass Homeoffice oder Nicht-Homeoffice eigentlich noch nicht mal ein strukturelles Thema ist, sondern es ist in der Tat ein Führungsthema. Vertraue ich meinen Mitarbeitern, dass die ihre Leistung bringen, ohne dass ich hinter ihnen stehe im Büro oder die Möglichkeit habe, hinter ihnen zu stehen. Da geht es um viel, viel mehr als Arbeitsort. Da geht es quasi um Selbstverständnis, wieviel Eigenständigkeit traue ich meinen Mitarbeitern zu, dass sie ihre Arbeit auch selbst strukturieren können zum Wohle des Unternehmens. Also, es ist ein extrem vielschichtiges Thema, das man nicht monokausal nur am Ort festmachen kann.

WBR: Was hat sich in der Pandemie-Zeit verändert, und was bedeutet das für die Gestaltung des Büros?

Guido Rottkämper: Zunächst, was hat sich grundsätzlich verändert in Unternehmen? Etwas können wir schon an den Telefonanrufen messen, die bei uns im Büro eingehen. Verändert hat sich, dass Firmen und ihre Chefs nicht mehr wissen, wie Zukunft aussieht oder unsicherer geworden sind. Eine der gängigsten Fragen ist, was verändert sich, und wie muss ich reagieren? Dabei ist es ja bei weitem nicht so, dass 100 % der Firmen vorher für flexibles Arbeiten, Homeoffice, gewesen sind. Wir haben erstaunlich viele Firmen, die das Thema Homeoffice bisher total abgelehnt haben. Was sich verändert, ist die Sichtweise, dass Homeoffice auch zu effizientem Arbeiten führen kann. Das hat sich auch bei den Firmen durchgesetzt, die noch relativ hierarchisch aufgestellt sind. Das hat sich definitiv verändert.

Wir haben im letzten halben Jahr kein einziges Unternehmen, das versucht, das auf der Vorstandsetage zu lösen. Fast alle Unternehmen sagen, auch sehr konservative, das sind so komplexe Themen, weil sie auch soziologische Bereiche betreffen, lass uns unsere Mitarbeiter fragen. Lass uns genau die Frage unseren Mitarbeitern stellen, wie wollen die in Zukunft überhaupt arbeiten? Die Sensibilität, Partizipation zuzulassen, die Mitarbeiter in die Frage des zukünftigen Arbeitens zu integrieren und zuhören, das hat sich sehr verändert. Weil die Leute dann gefragt werden, und die nicht homogen sind, wird Büro diverser.

Da kommt mehr Bewegung in verschiedene Kommunikations- und Arbeitsformen. Die einen sagen, ich brauche irgendwie einen ruhigeren Arbeitsplatz, die anderen sagen, es ist okay, wenn ich offen arbeite. Die gesamte Struktur von Büro ist multipler geworden.

WBR: Sie gehören zu den profilierten Architekten für die Gestaltung von Arbeitsumgebungen. Aus räumlicher Sicht, verabschieden wir uns mit der Pandemie vom Großraumbüro?

Guido Rottkämper: Großraumbüro ist ein böses Wort. Wir merken immer wieder, dass wir das eigentlich gar nicht in den Mund nehmen dürfen. Was ist ein Großraumbüro? Großraumbüros, wie wir sie aus den Staaten kennen oder in Metropolen wie Frankfurt? Hier bei uns in Leipzig gibt es die so gut wie gar nicht. Wir stellen fest, dass es eine immanente Grenze gibt, ab der Mitarbeiter ein Büro als Großraumbüro empfinden. Wenn es mehr als 12 bis 14 Leute sind, die man gleichzeitig sieht ohne irgendeine Form von Trennung, dann empfinden das deutsche Arbeitnehmer schon als Großraumbüro. Das Irre ist, dass das seit Jahrhunderten eine Konstante ist.

Das sind nämlich die Zahlen, ab denen sich früher kleine Stämme geteilt haben, weil sie sozusagen interaktiv und intuitiv gut miteinander agieren können. Meine Peergroup, meine Gruppe an Leuten, mit denen ich mich gut verstehe, die ich noch zulasse in meinem direkten Umfeld. So ein Großraumbüro ist auch ein Synonym für: da habe ich keinen Überblick mehr, da fühle ich mich nicht mehr wohl.

Wir müssen sensibler sein für die Größe von Flächen, auch ab wann eine Teilung notwendig ist. Das ist komplexer geworden. Wir merken, dass dieser Wechsel zwischen ich habe eine Tätigkeit, die tue ich, und da bin ich resilienter gegen Störungen, als wenn ich irgendwas habe, was extrem störanfällig ist. Der Wunsch der Mitarbeiter für eine Zeit in Rückzugsbereiche zu gehen und eine Tür zumachen zu können.

Mitarbeiter sind bereit, auf ihre eigene Tür zu verzichten, aber sie wollen Rückzugsbereiche. Ein Hauptwunsch von Arbeitnehmern ist Transparenz und Offenheit, damit wir schneller miteinander kommunizieren. Aber nehmt uns nicht unsere Rückzugsbereiche. Diese Ambivalenz, das ist was, was komplexer wird.

WBR: Nochmal zum Spannungsfeld Einzelbüro versus Großraumbüro. Thema Abstand, Risiken in Pandemiezeiten. Welche Probleme sehen Sie?

Guido Rottkämper: Wir teilen nicht die Annahme, dass Einzelbüros sicherer vor Infektionen sind als große räumliche Strukturen. Firmen, die schon vorher in größeren Gruppenbüros gearbeitet haben, haben es sehr gut hingekriegt, jeden zweiten Arbeitsplatz freizulassen. Ich habe eine viel höhere Flexibilität in der Belegung, wenn ich keine geschlossenen Räume habe. Und die Infektionsquellen in den Firmen sind eben nicht die Arbeitsplätze, weil ich mich da nicht mische, sondern die Infektionsquellen sind Teeküchen, WCs, die Gänge, da, wo ich anderen begegne.

Wenn man genau hinschaut, sind das die Bereiche, wo Warnschilder stehen. Nicht zu zweit in die Teeküche und nicht zu zweit aufs Klo und nicht zu dritt in den Fahrstuhl. Da findet Infektion statt, nicht am Arbeitsplatz. Insofern glaube ich nicht, dass Infektionen viel mit dem Arbeitsplatz zu tun haben. Abgesehen davon, dass die Lösungen, die jetzt kommen, vor allem in der Lüftungstechnik liegen. Viele Lüftungsanlagen werden jetzt aufgepimpt, wie kriegen wir es über eine höhere Luftwechselrate und über eine entsprechende Technologie hin, die Luft zu reinigen. Da ist technologisch innerhalb kürzester Zeit viel passiert. Wir bekommen die größeren Gruppenbüros viel schneller und besser sauber als Einzelbüros.

WBR: Ich will nochmal auf meine Ausgangsfrage zurückkommen. Zum Wechselspiel von Homeoffice und Büro. Das Büro wird nicht mehr so frequentiert, viele Mitarbeiter wünschen sich, mehr mobil zu arbeiten. Sie haben gesagt, eineinhalb bis zwei Tage in der Woche. Was bedeutet das für die Erfordernisse in den Büros?

Guido Rottkämper: Das ist eine komplexe Rechnung, die ich mal versuche, herunter zu brechen. Wir haben in Deutschland zwischen 251 und 255 Arbeitstage im Jahr. Wenn ich die Urlaubstage und die durchschnittlichen Krankheits- und Fortbildungstage abziehe, dann ist das, was übrigbleibt, schon nur noch eine 83 %-Belegung. Also, ohne einen Homeoffice-Tag, einen einzigen Homeoffice-Tag, sind wir im Schnitt irgendwie um die 83 % im Büro. Das ist in allen Unternehmen so. Wenn ich jetzt noch einen Homeoffice-Tag dazu nehme oder eineinhalb Homeoffice-Tage, bin ich sehr schnell bei einer sharing ratio, also Schreibtischwechselrate, von 0,7. Jetzt muss man noch dagegen rechnen, dass dienstags, mittwochs und donnerstags mehr Leute im Büro sind als montags und freitags. Aber grundsätzlich sehen wir eine sharing ratio von 0,7. Die Deutsche Bahn ist letztes Jahr auf 0,65 gegangen. Viele Unternehmen gehen jetzt auf Wechselraten zwischen 0,8 und 0,7. Wir glauben, dass das problemlos möglich ist, wenn man das kulturell begleitet.

Es ist sogar so, dass Unternehmen zu uns kommen und sagen: wenn wir jetzt an eins zu eins festhalten, und die Leute sind dann ständig im Homeoffice, ist das Büro dann nicht zu leer? Wenn ich dann durchgehe und jeder zweite Schreibtisch ist leer, das ist ja dann auch keine coole Atmosphäre mehr. Diese Bereitschaft, jetzt darüber nachzudenken, Flächen effizient zu nutzen, ist definitiv ein Thema. Mal ganz ehrlich: wir hatten vor der Pandemie auf Platz eins in den Tagesthemen die Fridays for Future-Kids, die gegen Klimaerwärmung demonstrieren. Eigentlich muss man sich dann ja auch mal die Frage nach den Pendelbewegungen von Mitarbeitern ins Büro stellen. Leere Büroflächen, die geheizt, gekühlt werden et cetera. Im Sinne des Klimaschutzes ist es da nicht statthaft, darüber nachzudenken, ohne jetzt die Mitarbeiter damit zu übervorteilen, darüber nachzudenken, wie viel Bürofläche ich überhaupt sinnvoll brauche? Wir glauben, dass wir im Moment eine Riesenchance haben, über Suffizienz nachzudenken. Nämlich über die Frage, wieviel Büro brauchen wir eigentlich? Was ist realistisch und damit Fläche effizienter zu nutzen?

WBR: Interessanter Hinweis, die eingangs von mir zitierte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft aus Köln von Anfang Februar dieses Jahres kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich gut 6 %  der befragten Unternehmen, immerhin 1.200, ihre Bürofläche reduzieren wollen. Sie haben da einen anderen Eindruck?

Guido Rottkämper: Auch das ist eine komplexe Frage. Auch wir stellen fest, dass die Unternehmen gerade nicht dabei sind, die Flächen zu reduzieren. Aber der Grund ist ein ganz anderer. Der hat nichts damit zu tun, dass die nicht trotzdem über Wechselraten nachdenken. Wir hatten vor der Pandemie das Problem, dass wir ein Bürowachstum hatten, was ungesund war. Wir hatten einen Leerstand, auch hier in Leipzig, der war extrem gering. Und die größte Sorge der Firmen war, für ihr Wachstum überhaupt noch Flächen zu bekommen. Und Firmen sagen, wenn ich 20% oder 30 % Arbeitsplätze einspare, dann kann ich ja auch anders herum rechnen. Ich behalte die Anzahl der Arbeitsplätze wie sie sind und kann in dieselbe Fläche 20 % mehr wachsen. Danach kann ich über eine neue Fläche nachdenken. Das ist nämlich der Grund, warum Firmen, die ja wachsen, sagen, wir nehmen das jetzt nicht zum Anlass, um Fläche zu reduzieren.

WBR: Kommen wir noch mal zum Büro als Kommunikationsort. Welche Erwartungen richten sich da an die Unternehmenskultur?

Guido Rottkämper: An der Stelle tut sich gerade fantastisch viel. Ich mache das mal an zwei Szenarien fest. Wir betreuen ein sehr großes Logistikunternehmen in Bonn. Die sind zu uns gekommen und haben gesagt, wir haben folgendes Problem. Auf den Etagen sind die Besprechungsräume ständig überbelegt, und im Erdgeschoss haben wir eine Riesenkantine. Und diese Kantine wird nur zwischen 11 und 13 Uhr benutzt. Ansonsten ist die total verwaist, und zwar genau da, wo alle Leute rein- und rauskommen. Und wir haben uns gefragt, ob man das nicht irgendwie anders hinkriegen kann. Das Ende vom Lied ist, dass sie die in einen Co-Working-Space umbauen. Nämlich in eine Fläche, die, so Ziel des Unternehmens, von morgens sieben bis abends um acht benutzt wird, um auch dort bei einem Kaffee und einem  Stück Kuchen oder was auch immer, sich auch über Arbeit zu unterhalten.

Dann wäre es ja auch ein Arbeitsort. Diese Frage, kann ich nur an einem Tisch arbeiten oder am Arbeitsplatz, oder ist nicht auch eine ruhige Ecke in einem Café oder in einem Bistro oder in einem Mitarbeiterrestaurant ein adäquater Arbeitsort? Da tut sich gerade ganz, ganz viel. Die Erweiterung der Perspektive von, ich kann nur an einem Tisch arbeiten, mit einem Bürotisch oder einem höhenverstellbaren Tisch, da tut sich eben was. In der Sichtweise großer Unternehmen. Unternehmen, die ihre Kantinen völlig neu denken, auch im Sinne eines Zusammenkommens, Zusammentreffens, nach dem Essen gleich besprechen. Und eben das Zulassen von nicht geplanter, aber um so wesentlicher Ideenfindung unter Mitarbeitern. Und auch bei kleineren Unternehmen ist es so, dass die Teeküche ein Marktplatz wird, oder wie man das auch bezeichnen mag. Das ist doch eine Riesenchance, wenn wir jetzt solche Orte machen, an denen wir die Leute aus ihren Silos rauslocken.

Das ist ja auch etwas, wo Firmen vor der Pandemie große Probleme hatten. Dieses Silodenken in Abteilungen. Da hat sich viel getan, hin zu Projektstrukturen. Der Wunsch der Unternehmen, die Barrieren zwischen einzelnen Abteilungen aufzubrechen, lässt sich natürlich über Attraktoren, wie coole Teeküchen, wo man sich trifft, und wo man sich auch besprechen kann, und wo es auch mal ein Whiteboard gibt. Oder wo man eben auch mal in einer ruhigen Minute seinen Laptop anstöpseln kann und seine Ruhe hat und unbeobachtet ist. Da tut sich viel.

Wenn man es menschheitsgeschichtlich sieht, dieser Wunsch ans Lagerfeuer oder gemeinsam am Brunnen versammeln, die gemeinsame Identität über Orte, wo man sich trifft. Da ist die Auffassung von Firmen, dass Arbeit mehr ist als nur arbeiten. Das ist eine der großen Erkenntnisse bei fast allen Firmen, mit denen wir zu tun haben.

WBR: Sind das Themen, die nur von Unternehmen kommen, die sowieso schon modern unterwegs sind, oder inwiefern hält das mittlerweile auch bei den eher klassischen Unternehmen Einzug?

Guido Rottkämper: Ja. Das Spannende ist, es hat noch nicht mal mit Altruismus zu tun. Wir haben ja sehr viel mit Personalabteilungen zu tun. Seit drei, vier Jahren spiegeln uns alle Personaler wider, dass die Bewerber seit geraumer Zeit in Bewerbungsgesprächen ihren zukünftigen Arbeitsplatz sehen wollen. Das heißt, der zu Rekrutierende, das zu rekrutierende neue Talent, will sehen, wie es sich anfühlt, dort zu arbeiten. Und da merken die konservativen Unternehmen, dass die alte Haltung von, Spaß haben kannst du Zuhause, und aufs Sofa setzen, kannst du dich auch nur zuhause, aber auf Arbeit wird gearbeitet, das ist ein Killer für Wachstum.

Weil die einfach die kreativen Köpfe gar nicht kriegen. Die sind das gewöhnt, anders zu arbeiten und auch mal im Sofa zu sitzen mit dem Laptop. Davor kann kein Unternehmen der Welt mehr seine Augen verschließen. Die Zeiten, in denen wir wie die Hühner auf der Stange am Arbeitsplatz acht Stunden verbringen und womöglich uns auch noch ausloggen mussten, die Zeiten sind definitiv vorbei.

WBR: Das passt sehr gut zu meiner letzten Frage, nämlich an den Architekten Guido Rottkämper: Wenn Sie jetzt ein Büro entwerfen würden für die nächsten Jahre, wie muss das aussehen?

Guido Rottkämper: (Lacht) Ich knüpfe mal an, an das, was ich vorhin gesagt habe. Wir merken, dass Mitarbeiter sehr unterschiedlich sind. Dass es völlig andere Mindsets gibt, und dass diese Mindsets auch sehr unterschiedlich in einzelnen Abteilungen sind. Man kann nicht mehr sagen, die Leute aus der Finanzabteilung arbeiten die ganze Zeit am Tisch oder bleiben mehr im Büro als die anderen. Wir merken, dass oft das soziale Erleben zuhause auch einen Einfluss auf die Arbeit hat, gerade im Homeoffice.

Es gibt Leute, da kommen die Kinder mittags nach Hause oder sind den ganzen Tag zuhause, und da ist man froh, wenn man seine Ruhe hat auf Arbeit. Oder man muss sich mit seinem Partner abstimmen, wie das abgeht. Da sagen wir, die Vielfalt ist wichtig. Das hat auch einen Designaspekt. Die Büros folgen heute dem Begriff des aktivitätsbasierten Designs. Also ich schaue mir die Aktivitäten an und forme dann das Büro. Ich bringe gern den Vergleich des Baumes. Wenn Sie sich einen Baum ansehen, unten in den Wurzeln leben irgendwelche Würmer, im Stamm der Specht und oben die Eichhörnchen. Also der Baum bietet eine Riesenvielfalt unterschiedlicher Lebensräume, und jede Spezies sucht sich ihren Raum.

Ich glaube, dass das auch in den Büros der Zukunft so sein wird. Wir werden nicht mehr eine Antwort finden, sondern 20 unterschiedliche. Und Ziel ist es, dass wir ein Mischungsverhältnis finden, wo jeder Mitarbeiter, egal ob er im Sofa arbeiten kann oder seinen eigenen  Schreibtisch braucht. Und der Kuli liegt immer da liegt, wo er ihn verlassen hat. Egal, wie jemand arbeiten will, er findet im Büro der Zukunft seinen idealen Platz, um sich so wohl zu fühlen, wie er das braucht.

WBR: Herzlichen Dank für das Gespräch.